Randvoll

Im Treppenhaus. Ein kalter Novembervormittag. Der Paketbote klingelt bei Blum. Von drinnen hört man diffuse Geräusche. Niemand öffnet. „Die macht nie auf“, brummt ein älterer Mann im abgetragenen Mantel, der gerade von oben herunterkommt. „Ja, aber ich habe da ein Paket“, sagt der Bote, „das muss ich doch mal loswerden. Ist doch lästig, alles wieder mitzunehmen ins Depot.“ Er klingelt Sturm. „Frau Blum, ein Paket!“ Da plötzlich geht die Tür einen Spalt weit auf. Eine Nase und anderthalb Augen sind zu sehen. „Ja… was haben Sie denn?“ Die Stimme klingt unsicher. „Ein Paket für Sie, Frau Blum.“ „Nein, nein…“ Die Tür geht wieder zu. Ratlos schaut sich der Bote um. „Die spinnt halt“, sagt eine junge Frau mit kurzen roten Haaren, die gerade ihr Fahrrad hochschleppt. Er klingelt wieder. „Ein Paket, soll ich das etwa wegwerfen?“

Die Tür geht wieder auf. „Schnell!“, sagt Frau Blum, „kommen Sie rein! Aber vorsichtig!“ Der Bote zwängt sich durch den Spalt. Es ist stickig und düster. Er muß husten. Frau Blum steht schüchtern neben ihm. „Ja, ich weiß…“ stottert sie. „Das kam halt alles von… von dem Satz, den ich mal gelesen habe.“ Der Bote schaut sich um. Alles voll, vom Boden bis zur Decke. Bücher, Kisten, Radios, Keksdosen, Teller, Tassen. Ein Messie, denkt er. Wie grausam, kein Platz, keine Luft, kein Licht. „Wovon kam das?“, fragt er gedankenverloren. „Na, von dem Satz, den ich mal auf einer Karte gelesen habe: ‚Behaltet das Gute!‘ Und mein Mann, als er noch lebte, sagte doch immer: ‚Du hast ein zu gutes Herz!‘ Im Wegwerfen und Aufräumen war ich nie gut.“

„Wollen Sie das Paket nun haben?“ „Ja, woher kommt es denn?“ „Keine Ahnung, mal schauen? ‚A. Paulus‘ steht drauf.“ „Kenne ich nicht.“ „Schauen wir rein?“ „Packen Sie es aus!“ Der Bote reißt das Paket auf. Heraus fällt eine Bibel. „Komisch.“ „Ja. Und sehen Sie mal, hier ist ein Lesezeichen drin. Wollen wir da nachsehen?“ „Warum nicht?“ Frau Blum liest und stutzt. „’Prüft alles, und behaltet das Gute.‘ Kann das denn wahr sein? So heißt der Satz also komplett. Das mit dem Prüfen hätte ich doch eher wissen sollen.“